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Autor*in:

Dr. Günter Metzges-Diez

Version

Nr. 0.4

Die Verbreitung, Vervielfältigung und Veränderung dieses Dokuments ist generell unter folgender Creative Commons Lizenz zulässig:

Zu wenig Zeit

Wenn du dieses Tool liest, wirst du möglicherweise unter zu viel Arbeit, ggf. auch unter Zeitdruck leiden. Eigene Vorstellungen und Erwartungen von Kolleginnen[2] und Vorgesetzten setzen dich unter Druck. Oft ist es einfach viel.

Dabei ist es eigentlich doch ganz einfach – meinen die, die nicht in deiner Haut stecken: “Du musst einfach mehr delegieren”. So weit – so bekannt. Aber warum ist das Problem bei Führungspersonen so allgegenwärtig, wenn die Antwort so einfach ist?

Weil wir gute Gründe haben, Arbeit nicht abzugeben:

  • Wenn ich Arbeit teilen will, muss ich mir sehr genau überlegen, was ich delegiere. Ich muss mich entscheiden, was ich machen möchte und was nicht. Das ist anstrengend.
  • Mit der Delegation von Arbeiten verliere ich zunächst an Gestaltungskraft. Das Ergebnis und vor allem der Weg zum Ergebnis wird – auch wenn ich weiter in den Prozess eingebunden sein – nicht ganz genau so sein, wie wenn ich es selbst mache. Den Verlust sehe ich deutlicher als die Dinge, die ich stattdessen in der frei werdenden Zeit gestalten könnte.
  • Wenn ich beginne zu delegieren, muss ich mein Rollenverständnis klären. Während ich vorher stolz darauf war, Probleme zu lösen und Expertise beizutragen, dann begründete dies meinen Wert für die Organisation. Wenn ich nun “nur” noch andere dabei unterstütze, was trage ich dann noch substantiell bei? Der “Aufstieg” in Führungspositionen ist gerade für operative Expert*innen mit Erschütterungen des eigenen Selbstverständnisses verbunden.
  • Es erfordert Vertrauen, dass die andere Person, der ich Arbeit abgebe, der damit verbundenen Verantwortung auch gewachsen ist und versteht, was ich eigentlich will. Und wenn es nicht klappt, wird es richtig kompliziert. Es drohen Konflikte und möglicherweise unangenehme Situationen, auf die ich gerne verzichte.
  • Und am Anfang ist es ein Investment. Manchmal kostet die Delegation fast so viel Zeit, wie wenn ich die Arbeit schnell selbst mache. Zumindest fühlt es sich oft so an.

D.h, delegieren ist nicht einfach und nicht immer erfolgreich. Professor John Hunt von der London Business School wird das Zitat zugeschrieben, dass nur 30% der Manager*innen glauben, sie könnten gut delegieren. Und von den von ihnen geführten Mitarbeiter*innen würden dies nur 1/3 bestätigen[3].

Monkeys on the Shoulders

Und dann ist da diese unangenehme Erfahrung: Obwohl ich delegiere, komme ich nicht (mehr) zu meinen eigenen Aufgaben. Beständig arbeite ich an den Aufgaben und Projekten, die ich doch eigentlich abgegeben habe. Es ist verblüffend, wie schnell diese wieder auf meiner ToDo-Liste landen. William Onken hat dafür in den siebziger Jahren in einem vielzitierten Beitrag ein wunderbares Bild gefunden[4]:

In diesem Bild sind Projekte und Aufgaben kleine süße, gefräßige Äffchen. Die Äffchen sitzen auf Schultern und wollen gefüttert werden. Manchmal – und mit Vorliebe in Social-Change-Organisationen – sitzen sie sogar auf den Schultern von zwei oder mehr Personen gleichzeitig.

Die Äffchen sind wirklich nett und eigentlich macht es Freude mit ihnen umzugehen. Sie sind so leicht, dass ein paar von ihnen ohne Probleme zu tragen sind. Aber wenn es zu viele werden, werden sie schwer, zeitraubend und frech dazu – vor allem, wenn sie hungrig bleiben, weil zu wenig Zeit zum Füttern bleibt.

Jedes Mal, wenn eine Aufgabe delegiert wird, wechselt das Äffchen die Schulter. Unglücklicherweise versuchen die Tierchen aber allzu gern wieder zu dir zurückzukehren.

Stell dir z.B. vor, du hast gerade eine Aufgabe abgegeben, bist in Eile. Dein Telefon klingelt. Deine Kollegin sagt: “Klar, ich mach’ die Aufgabe gern, aber ich habe noch ein paar Fragen zur Finanzierung”. Du antwortest: “Pass auf – ich habe gerade keine Zeit. Schick mir bitte deine Fragen doch per Mail.” Etwa eine halbe Stunde später meldet dein Smartphone, dass ihre Nachricht eingeht. Auf welcher Schulter sitzt jetzt das Äffchen?

Übung 1: Äffchen zählen

  1. Nimm dir Stift und Papier und schaffe dir mit einer Mindmap einen Überblick über deine Äffchen! Wofür bist du eigentlich direkt oder indirekt verantwortlich? Welche Aufgaben, Baustellen[5] und Projekte liegen jetzt oder in naher Zukunft auf deinen Schultern?
  2. Markiere danach
    1. erfolgreich delegierte Aufgaben mit grün;
    2. delegierbare, aber nicht oder schlecht delegierte Aufgaben mit rot
    3. und die nicht delegierbaren Aufgaben mit blau.
  3. Wirf den Zettel nicht weg. Wir kommen später darauf zurück.

Warum lohnt sich Delegieren?

Hier 6 Gründe, gesammelt von Robert Gass[6]:

  1. Den eigenen Workload im Griff behalten.
  2. Dich selbst nur auf die Dinge konzentrieren, die wirklich zentral für den Erfolg deiner Mission sind.
  3. Andere können es genauso gut wie du.
  4. Manche sogar noch besser.
  5. Delegieren heißt Zutrauen und Zutrauen motiviert deine Mitstreiter*innen.
  6. Durch Delegieren kannst du Mitarbeiter*innen stärken und sie dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Beachte: Der letzte Punkt in der Liste ist vielleicht der Wichtigste.

Wer bin ich, der*die ich delegiere?

Ein Waldarbeiter arbeitet mit stumpfer Säge im Wald und flucht,
dass alles so langsam geht. Auf die Frage,
warum er die stumpfe Säge nicht schleift,
antwortet er: “Weisst du eigentlich, wieviel Zeit das kostet?”

Wenn es um’s Delegieren geht, geht es erst einmal um uns selbst und um unsere Glaubenssätze. Gute Gründe dagegen gibt es genug (siehe oben). Der Wandel vom “ich kann das, das mache ich schnell selbst” zu “wenn das jemand anders auch machen kann, dann gewinne ich Zeit für Spannenderes” beginnt im eigenen Kopf.

Meine Erfahrung in der Arbeit mit Führungskräften in Social-Change-Organisationen zeigt, dass die Frage “Was mache ich dann mit der gewonnen Zeit?” ein wichtiger Schlüssel ist. Die Frage macht Angst. Denn sie ist direkt mit der Frage verbunden: Wofür werde ich hier eigentlich gebraucht? Es braucht Mut, sich dieser Frage zu stellen.

Übung 2: Nimm’ dir 15 Minuten, um über die folgenden Fragen zu reflektieren:

Mal angenommen, du würdest alle delegierbaren Aufgaben erfolgreich delegieren,

  • Wie fühlt sich das an?
  • Was würdest du mit der gewonnenen Zeit tun?
  • Was wäre dadurch für dich möglich?
  • Was hätte deine Organisation davon?

Notiere auf einem Zettel, wie du die gewonnene Zeit konkret einsetzen würdest! Wofür hättest du mehr Zeit? Was würdest du tun, was im Moment hinten runter fällt?

Und dann gibt es noch eine ganz andere Frage? Wenn ich delegiere und damit eine neue Rolle annehme, werde ich in der Organisation anders gesehen. Ich sehe mich auch selbst anders. Ich bin auf einmal nicht mehr die Kollegin, sondern ich bin jemand, der anderen sagt, was sie tun sollen. Es tauchen tradierte Rollenvorstellungen auf, mit denen ich mich möglicherweise nicht identifizieren möchte und mit denen ich selbst nicht verbunden werden will.

Es ist nicht egal, wie du dich selbst in deiner Rolle siehst und wie du mit Macht umgehst.

Siehe hierzu auch unser Tool

Macht und Transformational Leadership

Auch wenn dein Rollenverständnis sich mit zunehmender Erfahrung immer weiter entwickelt, lohnt es sich, innezuhalten und nach Vorstellungen zu suchen, die ein neues, zu dir passendes Rollenbild fördern.

Übung 3: Nimm dir 10 Minuten. Reise in der Zeit zurück und erinnere dich an Menschen, die an verschiedenen Stationen deines Lebens Arbeit und Verantwortung inspirierend geteilt haben! Wer war das? Was haben diese Menschen genau gemacht? Wie haben sie ihre Rolle verstanden? Wie ist es ihnen gelungen, andere zu inspirieren und für die Zusammenarbeit zu begeistern? Was macht eine*n gute*n Delegator*in aus?

Was kann weg?

Mit dem Delegieren fallen für dich Aufgaben weg und neue Aufgabenbereiche werden möglich, zu denen du bisher keine Zeit gefunden hast. Wie entscheidest du, was du machen möchtest und welche Aufgaben du abgeben möchtest? Dave Stitt schlägt in seinem ausgesprochen empfehlenswerten Buch “Deep and Deliberate Delegation”[7] folgendes Vorgehen vor.

Übung 4: Nimm dir die Baustellen und Aktivitäten aus Übung 1 und teile die mit “rot” markierten in 4 Kategorien auf:

  • Dinge, die du nicht kannst, die bei dir Stress und eklatante Unlust verursachen (Inkompetenz).
  • Dinge, die du kannst, die dir aber keine Freude machen und die andere wahrscheinlich besser können als du (freudlose Kompetenz).
  • Dinge, die du richtig gut und besser als andere kannst, für die du aber keine Leidenschaft hast (Geschick ohne Leidenschaft).
  • Dinge, die dich wirklich begeistern. Dinge, bei deren Bearbeitung du dich wirklich inspiriert und effektiv fühlst. (Meisterschaft).

Unter der Bezeichnung “The bullseye of Mastery” schlägt Dave Stitt vor, die vier Kategorien in konzentrischen Kreisen anzuordnen. Wenn du nun entscheiden willst, welche Aufgaben du abgibst, gehe einfach im Bullseye von außen nach innen[8].

Im “Bullseye of Mastery” spiegelt sich deine persönliche Präferenz und diese zu achten, ist auch aus der Perspektive der Organisation richtig. Trotzdem lohnt ein zusätzlicher Blick:

Was braucht die Organisation / dein Bereich / dein Projekt / dein Team im nächsten Jahr oder in 2 oder auch in 5 Jahren. Und mal angenommen, die Entwicklung in diesen Zeiträumen wäre aus deiner und der Organisationssicht optimal, was wäre dann deine Rolle?

Übung 5: Nimm’ dir 10 Minuten, spring in die optimale Zukunft. Stelle dir deine Organisation oder dein Team in der Zukunft vor. Was tust dann? Welche Rolle führst du aus? Wo trägst du am besten bei? Wie hast du auf dem Weg in diese optimale, imaginisierte Zukunft am wirkungs- und für dich am freudvollsten zu dieser Entwicklung beigetragen? Mache dir Notizen.

An wen delegieren?

Du hast nun ein klareres Verständnis, aus welcher Haltung und Motivation du was als erstes delegieren möchtest. Nun stellt sich die Frage, wie du entscheidest, an wen du was delegieren möchtest?

Vermutlich gehst du bereits deine Mitstreiterinnen durch. Und möglicherweise findest du bei jeder Person gute Gründe, warum es nicht geht. Der kann das (noch) nicht, die ist sowieso schon überlastet und die dritte hat bestimmt keine Lust. Und überhaupt, wenn es so einfach wäre, dann hättest du die Aufgabe schon verteilt.

Auch hier lohnt sich ein kleiner Schritt zurück. Was passiert, wenn ich Arbeit teile? Was passiert, wenn ich damit auch Verantwortung teile. Dave Stitt schreibt in seinem Buch: “Delegation is rocket fuel”. Überlege selbst, wie es ist, wenn dich jemand um Hilfe bittet? Hilfe, die für die, die dich fragt, wirklich relevant ist. Meistens verbindet sich damit ein Gefühl der Wertschätzung.

Dave Stitt gibt uns drei Kriterien, von denen abhängt, ob wir die Anfrage als stärkend und motivierend erleben:

  • Autonomy: Inwieweit kann ich selbst mitbestimmen, wie ich der Anfrage gerecht werde? Ist alles vorgegeben oder kann ich selbst gestalten?
  • Mastery: Passt die Aufgabe zu meinen Fähigkeiten? Ist es eine Aufgabe, an der ich wachsen kann? Verbindet sich mit der Übergabe der Aufgabe eine Anerkennung für die Kompetenzen, die ich in die gemeinsame Arbeit einbringe?
  • Purpose: Erscheint mir die Aufgabe sinnvoll. Passt sie zudem, was mich selbst motiviert und mir selbst Sinn gibt.

Hinter dieser Perspektive steht der Gedanke, dass Delegation (soweit sie nicht nur stumpfe und unsinnige Fleißarbeit betrifft) ausgesprochen empowernd und motivierend sein kann. Sie ist ein Signal, dass wir vertrauen, zutrauen und anerkennen.

Vertrauen (trust) ist dabei ein Schlüsselbegriff. Ob ich mich als Delegierender bei der Delegation wohl fühle, hängt wesentlich davon ab, ob ich meiner Mitarbeiterin vertrauen kann, die Verantwortung gut zu tragen. Woraus ergibt sich Vertrauenswürdigkeit?

Die britische Philosophin Nora O’Neill formuliert in einem TED-Talk 2013 Kriterien, die den Begriff der Vertrauenswürdigkeit aufschließen und aus der Sphäre eines bloßen Bauchgefühls herausholen[9]. Nach O’Neill vertrauen wir Menschen, denen wir

  • Ehrlichkeit
  • Verlässlichkeit
  • und Kompetenz zu schreiben.

Dave Stitt ergänzt mit “Caring” ein viertes Kriterium. Ich würde es an dieser Stelle übersetzen mit“jemand, die sich wirklich kümmert”.

Übung 6a: Nimm dir dein ‘Bullseye of Mastery’, wähle eine erste Aufgabe, die du delegieren möchtest und gehe deine Mitstreiter*innen durch. Wer kommt dafür (unabhängig von der jeweiligen Belastung der Mitarbeitenden) in Frage? Bei wem hast du das größte Vertrauen, wenn du die 4 oben genannten Kriterien durchgegangen bist? 

Wenn du nach der Übung jemanden gefunden hast, bist du einen Schritt weiter. Wenn niemand in Frage kommt, stellen sich wichtige Fragen danach, wie die Ausschreibung und Besetzung von Stellen in deiner Organisation erfolgt.

Beachte, dass die Frage von Vertrauen nicht stabil ist. Vertrauen wächst und sinkt mit Erfahrungen, die wir miteinander machen. Deshalb kann es Sinn machen, selbst noch einmal sehr genau zu prüfen, aus welchen Erfahrungen und Bildern sich unsere Bewertung ergibt, die wir in Übung 6a getroffen haben.

Und es macht Sinn, Delegation als etwas zu begreifen, dass uns neue Erfahrungen miteinander ermöglicht. Durch die Delegation selbst kann gegenseitiges Vertrauen wachsen.

Neben Vertrauen spielen natürlich weitere Fragen eine Rolle. Robert Gass formuliert 4 Kriterien, die die Auswahl leiten können, an wen Aufgaben delegiert werden sollten[10]:

  1. Fähigkeiten. Wer im Team kann den Job erledigen?
  2. Verfügbarkeit. Wer aus dem Team hat Zeit für den Job?[11]
  3. Interesse: Wer könnte besonders Lust auf diese Aufgabe haben?
  4. Capacity Building: Wer könnte an dieser Aufgabe erfolgreich wachsen?

Übung 6b: Überprüfe dein Ergebnis aus der vorangegangenen Übung und nehme die Kriterien von Robert Gass hinzu. An wen möchtest du die ausgewählte Aufgabe delegieren?

Dein schlechtes Gewissen wird dir jetzt sagen, deine Mitarbeiterinnen sind auch alle belastet. Ignoriere es zunächst[12]. Falls dies nicht geht und insgesamt zu wenig Kraft für zu viele Baustellen da ist, solltest du überlegen, welche Baustellen im Team insgesamt oder vorübergehend geschlossen werden können. Nicht gefütterte Äffchen gehen allen auf die Nerven.

Delegierst du Aufgaben oder Verantwortung?

Als nächstes könntest du dich fragen, wie groß die Aufgabe ist, die du delegieren möchtest? Denn mit der Größe der Aufgaben, die du delegierst, wächst auch die damit verbundene Verantwortung für Resultate. Es wächst die Chance, Verantwortung auf mehr Schultern zu verteilen. Es macht einen großen Unterschied, ob jemand für die Buchung eines konkreten Konferenzortes, für das Finden der optimalen Location einer Konferenz oder für die erfolgreiche Durchführung der Konferenz insgesamt zuständig ist.

Oder eine Nummer kleiner: Nehmen wir an, du suchst jemanden, der sich bei der Konferenz ums Organisatorische kümmert – das z. B. Blumen bestellt werden, Getränke verfügbar sind, die Namensschilder da sind usw. Du kannst nun einer Mitarbeiterin jede einzelne dieser Aufgaben übertragen und möglicherweise wird sie jede dieser Aufgaben zu deiner vollsten Zufriedenheit erledigen. Trotzdem bleibt die Verantwortung, ob du ggf. eine wichtige Aufgabe vergisst, bei dir. Deine Mitarbeiterin dagegen bleibt in der Rolle deiner Helferin.

Alternativ dazu könntest du die Mitarbeiterin auch zur “Verantwortlichen für alles Organisatorische auf der Konferenz” machen und ihr damit die Verantwortung dafür übertragen, dass in Sachen Organisation nichts vergessen wird. Das schließt ein gemeinsames Überlegen nicht aus, was alles da sein sollte. Nur die Rollenverteilung ändert sich. Nun bist du der Helfer, der die “Verantwortliche für alles Organisatorische” dabei unterstützt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

In der Regel wird die tatsächliche Übergabe von Verantwortung nach ein bisschen Übung von beiden Seiten als fruchtbar erlebt. Du wirst in der Nacht besser schlafen können, weil du dir nicht auch noch Gedanken darüber machen musst, ob du irgendetwas Organisatorisches vergessen hast. Deine Mitarbeiterin wird es als motivierender empfinden, für einen eigenen, bewältigbaren Bereich die Verantwortung zu tragen, als einen Handlangerdienst nach dem anderen zu erledigen.

Hilfreich ist, dir bewußt zu machen, ob du Verantwortung für

  • Prozesse / Routinen oder
  • Projekte / Outcomes

delegierst.

Bei Prozessen oder Routinen überträgst du Verantwortung für eine Reihe von miteinander verbundenen Vorgängen in einer Organisation. “Du bist in Zukunft verantwortlich dafür, dass das Onboarding neuer Mitarbeiter*innen optimal verläuft und diese sich nach den ersten vier Wochen gut in unserer Organisation zurechtfinden. Du wirst deiner Verantwortung gerecht, wenn die Mitarbeiter*innen eine definierte Zahl von Schritten durchlaufen und sich in der schwierigen Anfangszeit so sicher wie möglich fühlen.” Dem Mitarbeiter wird hier die Verantwortung für einen möglicherweise komplizierten, aber weitgehend bekannten Ablauf übertragen, der regelmäßig, professionell umgesetzt werden soll.

Das ist bei Projekten oder Outcomes anders: “Deine Aufgabe ist es, unsere Spendeneinnahmen innerhalb des nächsten Jahres um 25% zu steigern. Bitte entwickle einen Plan wie das möglich ist und setze diesen um”. Dies ist eine komplexe Delegation. Die Steigerung um 25% hängt von Einflussfaktoren ab, die jetzt vielleicht noch gar nicht bekannt oder kontrollierbar sind. Ein erfolgreicher Weg muss erst noch erdacht werden.

Übung 7: Nimm die in 6a ausgewählte Aufgabe und überlege, ob du die Aufgabe bisher weit genug gefasst hast? Delegierst du damit einzelne Tätigkeiten oder wirkliche Verantwortung? Delegierst du eine Routine- und Prozessverantwortung oder die Verantwortung für ein Projekt/ein Outcome. Wie könntest du die Aufgabe so formulieren, dass du mit der Delegation auch Verantwortung teilst?

Definition of Done. Woran erkennst du den Erfolg deiner Delegation?

Der Schlüssel für eine erfolgreiche Delegation ist ein gemeinsames Verständnis über das Ziel derselben – eine erfolgreiche Auftragsklärung. Mal angenommen, deine Mitarbeiterin würde der mit ihr geteilten Verantwortung gerecht, die Delegation wäre erfolgreich. Woran würdest du das sehen, hören, schmecken oder riechen? Achtung, hier geht es nicht um deine Gefühle oder Interpretationen, sondern um Dinge, die von dir wie von deiner Mitarbeiterin wahrnehmbar sind.  

Erst wenn deine Erwartungen dir selbst und deiner Mitarbeiterin glasklar sind, kann sie Verantwortung so ausfüllen, wie du es dir vorstellst. Es lohnt sich deshalb, sich im Vorfeld der Aufgabenübertragung Zeit zu nehmen und darüber nachzudenken. Manchmal ergibt sich das Widerstreben zu delegieren auch daraus, dass wir uns damit die Chance nehmen, das Ziel einer Routine, eines Projektes etc. schwammig zu halten. Es geht also um die Formulierung von geteilten Zielen.

Bereits 1981 hat George T. Doran mit SMART ein seitdem breit rezipiertes Modell zur Formulierung klarer Ziele vorgestellt[13], das auch heute noch hilfreich sein kann. SMART ist ein Akronym. Ziele sind nach Doran dann gut, wenn sie folgende Kriterien folgen:

  • Spezifisch: Ziele sollten so konkret wie möglich formuliert sein. “Wir erreichen im nächsten Jahr, dass die Bundesregierung ein Tempolimit für fossil betriebene PKW beschließt.” ist ein besseres Ziel als “wir erreichen im nächsten Jahr Fortschritte im Bereich Verkehr”.
  • Measurable: Ziele sollten messbar sein. Wie schon oben formuliert, sollte das Erreichen eines Zieles oder von Meilensteinen auf dem Weg zum Ziel intersubjektiv wahrnehmbar und bewertbar sein. “Um einen Beschluss zum Tempolimit zu erreichen, führen wir 20 Gespräche mit Bundestagsabgeordneten der Regierungsfraktionen in den Wahlkreisen mit den meisten Autobahntoten und begleiten diese Gespräche mit Pressearbeit” ist besser als “wir setzen uns für dieses Ziel mit all unserer Kraft ein”.
  • Agreed / Assignable: Das Ziel ist allen am Projekt Beteiligten bekannt und wird von allen geteilt und aktiv unterstützt.
  • Realistic / relevant: Das Ziel wird von allen Beteiligten als erreichbar eingeschätzt, auch wenn es ambitioniert ist und auch wenn noch nicht klar ist, wie genau es erreicht wird.  
  • Time-bound: Es gibt eine Deadline, zu der das Ziel erreicht werden soll (Projekt) oder an dem die erfolgreiche Übernahme der Verantwortung (Routine) gemeinsam überprüft wird.

Die SMART-Kriterien sind mittlerweile allgemein bekannt und es gibt das Akronyme in den unterschiedlichsten Ausführungen (z.B. ambitious statt agreed). Für die Frage erfolgreicher Delegation scheinen mir vor allem zwei Überlegungen relevant:

  1. Ich empfehle besonderes Augenmerk auf das “S” und das “M” zu legen. Hier treten in der Praxis die meisten Probleme auf. Wenn das Ziel nicht spezifisch und/oder messbar ist, ist es in der Regel kaum möglich zu beurteilen, ob die Richtungen, die vom Delegatee eingeschlagen werden, wirklich zielführend sind. In der Folge wirst du als Delegierende immer wieder nachsteuern wollen. Der Delegatee wird dieses Nachsteuern vermutlich immer wieder als Eingriff in seine Autonomie (s.o.) und als nicht besonders motivierend wahrnehmen.
  2. In den oben genannten Kriterien gibt es kein Gegengewicht zum “R – realistic”. Ziele, die zuallererst realistisch sind, sind möglicherweise aber auch langweilig. Deshalb wird das A in SMART oft auch als “ambitioniert” übersetzt. Tatsächlich ist es so, dass ambitionierte, vielleicht sogar risikoreiche Ziele besonders motivieren. Gerade komplexe Projekte, in denen der Weg zum Ziel zu Beginn unbekannt ist, sind geeignet, die organisationale Praxis auf ein neues Level zu heben. Dies bedeutet auch, dass es möglich sein sollte, dass Ziele verfehlt werden. Um aber Ziele überhaupt verfehlen zu können, müssen sie überhaupt eindeutig formuliert werden.

Übung 8: Nimm dir die Aufgabe aus dem vorhergehenden Abschnitt und ergänze, woran du hier die erfolgreiche Umsetzung erkennen würdest! Versuche, das Ziel SMART zu formulieren.

Welche Ressourcen können genutzt werden und wer sollte involviert werden?

Delegation von Ergebnisverantwortung muss immer auch mit der Delegation von Rechten, Entscheidungskompetenzen und Ressourcen einhergehen. Wenn diese nicht genügen, kann die Verantwortung nicht übernommen werden. Eine wichtige Ressource kann z.B. auch die Zuarbeit anderer Mitarbeiter*innen sein.

Übung 9: Übertrage deine Baustellen und Projekte in eine Tabelle und ergänze die Entscheidungskompetenzen, Budgetregeln und Kapazitäten von Mitarbeiter*innen, die du mit der Delegation eines Aufgabenbereiches zur Verfügung stellen möchtest.

Baustelle / Projekt

Welche Entscheidungskompetenzen werden delegiert

Welches Budget wird für die Aufgabe zur Verfügung gestellt?

Auf welche Ressourcen kann zurückgegriffen werden?

Welche weiteren Mitarbeiter*innen dürfen mit welcher Weisungsbefugnis in die Aufgabe eingebunden werden.

Und eine kleine Prise “Wie”

Wirkliches Teilen von Verantwortlichkeit gelingt nur, wenn Mitarbeiter*innen selbst bestimmen können, wie sie ihre Ziele erreichen wollen. D.h. je mehr du die genaue Form der Umsetzung vorgibst, desto mehr bestimmst du auch das Gelingen oder Scheitern des Projektes und desto mehr bleibt die Verantwortung am Ende bei dir.

Es macht trotzdem Sinn, bereits im Vorfeld der Delegation zu überlegen, ob es z.B. Erfahrungen gibt, die du bei Übergabe der Aufgabe mitgeben möchtest. Nichts ist frustrierender, als wenn die neue Mitarbeiterin nach dem Scheitern ihrer Anstrengungen hört: “Ja, das war doch klar. Das haben wir schon oft probiert und funktioniert hat es nie”.

Übung 10: Überlege dir, ob du bei der anstehenden Delegation auch Teile des Weges festlegen möchtest, die bei Übernahme der Aufgabe gegangen werden sollen.

Die Auftragsklärung

Bisher hast du die Abgabe von Verantwortung vor allem aus deiner Perspektive durchgespielt. Delegieren ist aber keine Einbahnstraße. Selbst wenn du in einem hierarchischen Verhältnis zum Delegatee stehst und theoretisch die Übernahme von Aufgaben anweisen könntest, macht genau das mit Blick auf das spätere Ergebnis keinen Sinn.

Es geht also darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem das Projekt von beiden Seiten verstanden wird, so dass es um ein gemeinsames Ziel geht (vgl. die Kategorie “agreed” im SMART-Akronym). Ob dies gelingt, hängt von einem Klärungsprozess zwischen dir und dem Delegatee ab – der Auftragsklärung.

Klar ist: Dein Mitarbeiter sollte in der Auftragsklärung genau verstehen, was deine Erwartungen sind. Mindestens genauso wichtig ist aber, dass du verstehst, ob er deine Erwartungen verstanden hat, ob er selbst Sinn in diesem Vorhaben sieht und wo er Fragen oder konkurrierende Prioritäten sieht, die eine erfolgreiche Umsetzung gefährden könnten. Wenn du das Gefühl hast, dass dein Mitarbeiter selbst nicht von der Sache überzeugt ist, dann nimm dir mehr Zeit zum Dialog. Und wenn auch das nicht hilft, dann prüfe genau, ob diese Delegation zu diesem Mitarbeiter wirklich Sinn macht.

Delegieren hat also mehr mit gegenseitigem Verstehen und Verhandeln als mit Ansagen und Befehlen zu tun. Der Spruch “man kann Menschen nicht zum Jagen tragen” birgt viel Wahrheit. All’ die mit deiner Führungsrolle verbundene Macht hilft dir am Ende nicht, wenn der Mitarbeiter die ihm angebotene Verantwortung nicht übernehmen will. Du musst verstehen, was seine guten Gründe dafür sind.

Wenn du die guten Gründe verstehst und diese mit Blick auf dein Vorhaben reflektierst, wird dein Vorhaben oder Projekt robuster. Sieh Widerspruch von Mitarbeitenden als Unterstützung, selbst wenn sich durch die Berücksichtigung dein ursprüngliches Projekt noch einmal verändert. Wenn eine von euch das Delegationsgespräch verlässt, ohne wirklich überzeugt zu sein, ist späterer Ärger sehr wahrscheinlich. Auftragsanfragen müssen auch abgelehnt werden können.

Aber woran merkst du, ob ein ausreichendes, gemeinsames Verständnis erreicht ist? Ein hilfreiches Instrument kann sein, den Mitarbeiter darum zu bitten, das Gespräch und die Zielsetzung der Aufgabe oder des Projekts kurz stichpunktartig in einer Repeatback-Mail zusammenzufassen. Das kannst du ruhig damit begründen, dass du dir nicht immer sicher bist, Aufgaben so verständlich wie nötig formuliert zu haben.

Bei größeren, komplexeren Projekten könnte es alternativ helfen, eine Mitarbeiterin um die Erstellung eines groben, vorläufigen (Zeit)-Plans mit den 5 wichtigsten im Moment für sie absehbaren Meilensteinen zu bitten.

Übung 11: Fülle das hier verlinkte Delegation Worksheet aus und überlege anhand dessen, wie ein Gespräch zur Auftragsklärung aussehen könnte.

Der Umgang mit konkurrierenden Zielen

Zu den SMART-Kriterien gehört ein gemeinsames Verständnis, wann die Aufgabe erledigt oder ein Projekt abgeschlossen werden sollte (time-bound). Das ist insbesondere bei nicht hoch priorisierten Aufgaben nicht immer einfach. Gerade bei solchen Aufgaben ist es aber wichtig, gemeinsam die Erwartung zu klären. So sollte die Rangfolge im Vergleich zu anderen konkurrierenden Aufgaben besprochen werden. Eine solche gemeinsame Klärung könnte auch zu dem Ergebnis kommen, dass die Delegation an die jeweilige Mitarbeiterin nicht erfolgen sollte oder gar ganz gestrichen werden sollte[14].

Beachte dabei, dass ein Angebot zur Repriorisierung nicht unbedingt im Interesse deiner Mitarbeiterin sein muss. Oncken und Wass unterscheiden in ihrem Artikel vier Formen von Zeitressourcen, die für Mitarbeiter*innen eine Rolle spielen:

  • Boss-imposed-time: Zeit, die durch Anforderungen der Vorgesetzten festgelegt wird.
  • System-imposed-time: Zeit, die durch Anforderungen der jeweiligen Organisation, von Kolleginnen oder bürokratischen Erfordernissen (Büroorganisation, …) festgelegt ist.
  • Subordinate-imposed-time: Zeit, die durch Rückfragen, Berichte von Mitarbeiter*innen belegt wird.
  • Discreationary-time: Zeit, über deren Verwendung ich selbst entscheide.

Die Unterscheidung der beiden Autoren ist sicher auch den streng hierarchischen Perspektiven ihrer Zeit geschuldet. Trotzdem kann sie uns helfen zu verstehen, warum eine gemeinsame Repriorisierung auf Reserviertheit stößt.

Oncken und Wass formulieren, dass du immer das Interesse hast, “to get control over the timing and content of what you do”.

Wir können davon ausgehen, dass Mitarbeiter*innen eine eigene Priorisierung ihrer gegenwärtigen Projekte und Ziele im Kopf haben. Dies ist auch Ausdruck ihrer “discreationary time”. Wenn ich nun anbiete, gemeinsam Änderungen an dieser Prioritätenliste vorzunehmen, wird diese möglicherweise als Drohung empfunden, in ihre Autonomie einzugreifen. “Discreationary time” droht zu “boss-imposed time” zu werden.

Diese Überlegung heißt nicht, auf die Diskussion von Prioritäten zu verzichten. Diese ist mit Blick auf die Verantwortung, die du gegenüber der Organisation und deinen eigenen Vorgesetzten hast, notwendig. Du solltest dir der Dynamik aber bewusst sein und besonders sensibel dafür sein, wenn eine Repriorisierung zu einem Motivationskiller für deine Mitarbeiterin wird. Ziel sollte sein, dass die Mitarbeiterin zu einer gemeinsam entwickelten Repriorisierungslösung aus vollem Herzen “ja” sagen kann.

Feedback als Schlüssel – regelmäßige Check-ins 

Die Übergabe eines Projektes bzw. die Auftragsklärung ist nicht das Ende, sondern der Beginn einer Delegation. Es bräuchte viel Glück, wenn die Aufgabenteilung ohne weiteres Zutun, d.h. ohne weiteres Feedback und kontinuierliche Begleitung gelingt. Eine typische Frage dabei ist, ob Führung mehr Hands-On oder mehr Hands-Off erfolgen sollte.

Die weitere aktive Begleitung braucht es schon für den kontinuierlichen gegenseitigen Erwartungsabgleich. Es ist einfach nicht schön, erst zwei Tage vor Abgabetermin mitzubekommen, dass der Mitarbeiter z.B. einen Beitrag für einen Sammelband noch gar nicht begonnen hat oder dabei ist, vollkommen das Thema zu verfehlen[15].

Gleichzeitig ist vermutlich nichts schlimmer und demotivierender als beständig den Atem der eigenen Vorgesetzten im Nacken zu spüren, die jeden Tag nachfragt, wie es denn läuft und ob du auch an dies oder jenes gedacht hast.

Es macht Sinn, sich gedanklich einen optimalen Abstand zwischen Delegator und Delegatee vorzustellen und einzuhalten, solange der Delegatee keinen akuten Klärungsbedarf hat, der eine Zusammenarbeit ad-hoc erfordert. Dieser Abstand wird bei neuen Mitarbeitenden kürzer und bei erfahrenen Kolleginnen größer sein. Er kann sich auch danach richten, wie kritisch ein Scheitern der Delegation für die Organisation oder Abteilung wäre. Es ist für beide Seiten hilfreich, wenn es ein gemeinsames Verständnisses dieses Abstandes gibt.

Es macht Sinn, sich bereits bei der Auftragsklärung auf eine regelmäßige Form des Check-ins zu verständigen, so dass klar ist, dass sie nicht deshalb erfolgen, weil irgendetwas schiefgelaufen ist oder bei dir das Zutrauen gesunken ist.

In direkten Treffen geht es um den Abgleich der im Übergabegespräch formulierten Meilensteine mit dem bisherigen Projektfortschritt. Wenn im Übergabegespräch Indikatoren für den Projektfortschritt besprochen wurden, können diese betrachtet werden. Bei größeren Projekten stellt sich oft im Laufe des Prozesses heraus, dass bestimmte Ziele nicht oder nicht so zu erreichen sind. Dann dient das Check-in der Neujustierung der Ziele und gegenseitigen Erwartungen und wird zu einer Aktualisierung der Auftragsklärung.

Eine mögliche Strukturierung eines Check-ins könnte wie folgt aussehen:

  1. Bericht zum Stand der aktuellen 3-5 Meilensteine[16] der Delegation und zu den aktuell von ihm*ihr wahrgenommenen wichtigsten Risiken und Chancen?
  2. Konkretisierende Rückfragen durch dich (Wie genau? Woran erkennst du das? Was bedeutet das für dich für die weitere Arbeit?, …)
  3. Gemeinsame Diskussion des aktuellen Standes.
  4. Vorschlag von 3-5 neuen, aktualisierten oder fortgeltenden Meilensteinen durch den Delegatee, Diskussion und gemeinsame Vereinbarung derselben als neue, handlungsleitende Meilensteine.
  5. Welche Unterstützung und Veränderungen im Rahmen braucht der Delegatee von dir, um die neuen Meilensteine erfüllen zu können?
  6. Wann findet das nächste Check-in statt?

Es ist wichtig, dass Check-ins und andere Rücksprachen eher den Charakter eines Coaching-Gesprächs als den einer Kontrollabfrage haben. Gerade weil das Erzielen von Resultaten oft nur zum Teil von der Mitarbeiterin selbst abhängt, braucht es Gelegenheiten und eine Atmosphäre, in der offen miteinander auch über Schwierigkeiten und Misserfolge gesprochen werden kann und in der gewählte Strategien in Frage gestellt und neu gefasst werden können.

In der Gesprächsführung solltest du deshalb darauf achten, offene Fragen zu stellen. Ziel ist es, in eine Stimmung des gemeinsamen Erkundens zu kommen. Hilfreich sind Fragen wie:

  • Was läuft gut, was nicht so gut?
  • Wo siehst du die Chancen, wo die Risiken für einen erfolgreichen Abschluss der Aufgabe?

Du kannst auch selbst direkt nach Bereichen fragen, die du für besonders risikoreich oder knifflig bewertest:

  • Wie ist die Situation bei Gesprächen mit Kooperationspartner X?

Hilfreich ist es auch die Mitarbeiterin bei der Identifikation von Risiken um Mithilfe zu bitten:

  • Was sind aus deiner Sicht die drei kritischsten Punkte für den erfolgreichen Abschluss der Aufgabe?
  • Wie willst du mit diesen Punkten umgehen?

Vermeide geschlossene ja/nein-Fragen wie:

  • Läuft alles gut?
  • Hast du an X oder Y gedacht?
  • Gibt es Probleme?

Geschlossene Fragen wirken so schnell wie Kontrollfragen und bringen die Mitarbeiterin in ein Dilemma. Sagt sie auf die Frage “Läuft alles gut?” “Nein”, markiert sie nicht nur ein mögliches Problem, sondern stellt gleichzeitig auch ihre eigene Kompetenz zur Lösung des Problems in Frage. Du hörst dann womöglich ein “Ja” und erkennst Risiken zu spät.

Werde hellhörig, wenn du das Gefühl hast, dass die Antworten des Delegatees abstrakt und allgemein bleiben, Schuldige für Probleme gesucht werden oder wenn auf Nebenfragen ausgewichen wird. Dies kann ein Zeichen dafür sein, dass es ernsthafte Probleme im Projekt gibt. Hier lohnt es sich konkretisierend nachzufragen:

  • “Wie genau?”,
  • “Woran merkst/erkennst du das?” (auf Wahrnehmungen fokussieren)
  • “Kannst Du mir ein Beispiel geben?”
  • “Wie genau willst du mit der Herausforderung umgehen?”

Wenn auch konkretisierendes Nachfragen nicht weiter führt, lohnt es sich auf die Metaebene zu gehen und explizit dein Gefühl zu thematisieren, dass dein*e Gesprächspartner*in kritischen Fragen ausweicht.

Eine wichtige, aber schwierige Herausforderung für dich ist es, zwischen Problemen zu unterscheiden, die ihre Wurzeln in den äußeren Bedingungen haben und solchen, die in Performance-Fragen des Mitarbeiters liegen. Für die erfolgreiche Zusammenarbeit ist die gemeinsame Erkundung externer Schwierigkeiten wichtig. Die daraus entstehende gemeinsame Erfahrung schafft Vertrauen.

Für den Projekterfolg müssen gleichzeitig auftretende Performance-Fragen frühzeitig erkannt und offen adressiert werden. Die können bis zu dem Punkt gehen, dem Mitarbeiter die Zuständigkeit für die Aufgabe wieder zu entziehen. Dies kann für dich eine knifflige Abwägungsaufgabe darstellen, die viel Fingerspitzengefühl und “Mutige Gespräche” braucht.

Bei einer entsprechenden Führungs- und Teamkultur können Check-ins auch auf Teamebene Sinn machen. Entscheidungskriterium sollte sein, ob sich die Arbeitsfelder und Projekte der Teilnehmer*innen so überschneiden, dass ein Update zu einzelnen Projektfortschritten für alle Beteiligten fruchtbar ist. Besonders schwierig ist es, “Mutige Gespräche” zu Performance Problemen als Teamgespräch zu führen. Hier braucht es eine sorgfältige Abwägung, ob das “Mutige Gespräch” lieber in einer 1:1 Situation geführt werden soll, damit es nicht den Charakter eines Tribunals erhält.

Verantwortlichkeit stärken und Lernen – Vorsicht beim Äffchen füttern

Im letzten Teil dieses Tools kehren wir zu William Onckens Bild der “Monkeys on Shoulders” vom Beginn zurück. Eine Herausforderung beim Delegieren ist, dafür zu sorgen, dass die Äffchen bei nächster Gelegenheit nicht gleich wieder zurückkehren.

Als einfache Lösung schlägt Oncken vor, keine Rückdelegation von Problemen zuzulassen.

Eine typische Rückdelegation wäre zum Beispiel eine Mail einer Mitarbeiterin mit der Frage: “Welche Bündnispartner soll ich denn für dieses Projekt ansprechen?”. Hilfsbereit würde man – soweit man dazu kommt – eine Antwortmail mit Vorschlägen zurückschicken. Die Frage ist dann aber: Wer arbeitet hier wem zu? Wie wäre es richtig? Möglich wäre aber auch eine Antwort wie folgt: “Es ist gut, die Frage des Bündnisses jetzt zu klären. Wenn du dabei Unterstützung brauchst, schick mir doch bitte einen Vorschlag. Den können wir dann bei unserem nächsten Check-in am Mittwoch durchgehen und ggf. ergänzen”.

Was wäre anders? Zunächst bleibt das Äffchen – und damit der weitere Prozessfortschritt – auf der Schulter deiner Mitarbeiterin. Sie kann sofort weiterarbeiten und muss nicht darauf warten, bis du dazu kommst, dir Gedanken zur Bündnisstrategie ihres Projekts zu machen. Sie würde sich evtl. in der Zwischenzeit selbst das Wissen aneignen, um eine Bündnisstrategie zu formulieren. Das zahlt sich spätestens im nächsten Projekt aus. Was aber, wenn ihr Vorschlag dann nichts taugt?

Das kann passieren. Und in diesem Fall würde das nächste Check-in vordringlich dem  Wissenstransfer und Empowerment deiner Mitarbeiterin dienen. Wenn die Zeit nicht reicht, kann alternativ auch ein Sondertermin gemacht werden. Vielleicht kostet der Wissenstransfer dieses Mal mehr Zeit als wenn du die Strategie selbst geschrieben hättest. Doch spätestens beim nächsten oder übernächsten Projekt wird sich deine investierte Zeit vermutlich rentieren.

Doch möglicherweise ist der Vorschlag deiner Mitarbeiterin ja schon jetzt genau richtig und die Rückfrage der Mitarbeiterin zeugt eher von Unsicherheit als von Kompetenzdefiziten. Dann lohnt sich die Zurückweisung der Rückdelegation noch einmal mehr. Denn deine Mitarbeiterin macht die Erfahrung, dass sie selbst die Kraft und Fähigkeit zur Lösung des Problems hat und dass du ihr genau das zutraust.

Das gleiche Prinzip lässt sich auf Entscheidungen anwenden. Nehmen wir an, in einer Mail eines Mitarbeiters an dich heißt es: “Wir müssen über die Ausstattung unserer neuen Konferenzräume entscheiden. Wie sollen die aussehen? Ich möchte nächste Woche die Bestellung machen.” Und möglicherweise ist es tatsächlich so, dass du die finale Entscheidung über die Ausstattung der Räume treffen willst. Aber heißt das auch, dass du alle dafür notwendigen Informationen zusammentragen willst? Eine Antwort könnte also lauten: “Super, dass es jetzt schon um die Ausstattung der Konferenzräume geht. Kannst du mir bitte einen Vorschlag mit denkbaren Alternativen erstellen? Den können wir dann beim nächsten Check-in besprechen. Dann kann ich auf Grundlage deiner Vorschläge informiert entscheiden.”

Auch in diesem Beispiel geht es darum, das Füttern des Äffchens dem Mitarbeiter selbst zu überlassen. Die Unterstützung durch dich erfolgt als Berater*in und manchmal als Entscheider*in. Die Verantwortung für Prozess und Inhalt bleibt so weit wie möglich beim eigentlich Verantwortlichen für das Projekt.

Beide oben genannten Beispiele beherzigen William Onckens Tipp, keine schriftliche Rückdelegation zuzulassen. Denn sobald die Email bei mir im Postfach liegt, bin ich für den weiteren Prozess zuständig und das Äffchen sitzt wieder bei mir auf der Schulter. Hilfreicher – so Onken – sei es in der Regel, projekt- und aufgabenbezogene Klärungen, Rücksprachen oder Hinweise im direkten Treffen (Check-in oder gesondert vereinbart) gemeinsam mit der Mitarbeiterin anzugehen. Im Treffen selbst sollte dann streng auf die Rollenverteilung geachtet werden. Es geht um einen grundlegenden Perspektivwechsel: Nicht die Mitarbeiterin hilft dir bei deinem Projekt, sondern du unterstützt die Mitarbeiterin dabei, ihr Projekt zum Erfolg zu führen.

Deine Rolle und Verantwortung als Führende*r geht bei dieser Vorstellung darüber hinaus, ein Projekt oder eine Aufgabe erfolgreich zu Ende zu bringen. Dein Augenmerk sollte mindestens genauso stark auf das Empowerment und Lernen Deiner Mitarbeiter*innen gerichtet sein.

Idealerweise steht am Abschluss einer Delegation dann auch ein “Lessons Learned Treffen” mit den Mitgliedern des Projektteams oder der zuständigen Mitarbeiterin. In dem Treffen sollten bei entsprechender Projektgröße mindestens folgende Fragen reflektiert werden:

  • Was war gut und sollte beim nächsten Mal weiter gestärkt werden?
  • Was würde die Mitarbeiterin bei einer ähnlichen Aufgabe das nächste Mal anders machen?
  • Was kann die Organisation aus den Erfahrungen der Mitarbeiterin beim Projekt lernen?
  • Wie war eure Zusammenarbeit und was sollte in der Zukunft anders sein?

Und es sollte – insbesondere bei herausfordernden Aufgaben und Projekten – die erfolgreiche Verantwortungsübernahme der Mitarbeiterin z. B. in Organisationsmeetings gewürdigt werden. Mit dem Ownership des Projektes sollte sich bei erfolgreichem Verlauf am Ende auch das Ownership des Erfolges verbinden. So führt Delegation zu tatsächlichem Empowerment.

Delegieren und Transformational Leadership

Transformational Leadership baut darauf auf, dass Menschen in Organisationen sich als Subjekte und nicht als Objekte, als Mittel zum Zweck begegnen. Wir arbeiten i.d.R. nicht nur des Geldes oder Privilegien wegen, sondern meistens verbindet sich mit dem, was wir machen, eine Vorstellung von Zielen und Wertvorstellungen, die unserer Arbeit Sinn geben.

Wie passt diese Vorstellung zur Kunst des Delegierens, einer klassisch sehr hierarchischen Perspektive. Diese spiegelt sich in Vorstellungen mancher Manager, die besitzergreifend von “meinen Leuten” sprechen?

Hier sehen wir Delegieren nicht (nur) hierarchisch. Vielmehr geht es darum, Arbeit und damit Verantwortung zu teilen. Ohne Arbeits- und Verantwortungsteilung gäbe es kein kollektives Handeln, keine gemeinsamen, großen Vorhaben, die wir zusammen realisieren.

Insofern hat Delegation aus der Transformational Leadership Perspektive nicht zwangsläufig nur eine Richtung (von oben nach unten), sondern Delegationen gibt es auch horizontal oder auch von unten nach oben. Wichtiger als die Frage von “oben” oder “unten” ist die Frage nach der Klarheit von Rollen und Erwartungen, die sich mit dem Teilen von Arbeit und Verantwortung ergibt.

Und tatsächlich werden auch grundsätzlich hierarchische Organisationen immer komplexer und vermehrt finden wir uns in interdisziplinären Arbeitsbeziehungen, in denen wir z.T. sogar mit Menschen aus unterschiedlichen Organisationen zusammenarbeiten. Während klassische Hierarchien hier an Grenzen stoßen, besteht weiter der Bedarf nach der Teilung von Arbeit und Verantwortung.

[1] Oncken, William Jr., Wass, Donald L. (1974) “Management Time: Who’s got the Monkey?”, Harvard Business Review, 1999 online unter https://hbr.org/1999/11/management-time-whos-got-the-monkey.

[2] Die Frage “Wie hältst du es mit dem Gendern” stellt sich natürlich auch bei diesem Text. Es ist immer eine Frage der Abwägung zwischen Klarheit und einer flüssigen Lesbarkeit. Ich habe mich entschieden, relativ sporadisch das generische Femininum (Männer und alle anderen fühlen sich bitte mitgemeint) oder das generische Maskulinum (Frauen und alle anderen fühlen sich bitte mitgemeint) oder die Sternchenform zu verwenden. Mögliche daraus resultierenden Unklarheiten bitte ich zu entschuldigen.

[3] Zwilling, Martin: “How to Delegate More Effectively In Your Business”. Forbes-Website 2.10.2013.

[4] Oncken, William Jr.; Wass, Donald L. (1974) “Who’s got the monkey”, Harvard Business Review. Reprint 1999 https://hbr.org/1999/11/management-time-whos-got-the-monkey (zuletzt abgerufen am 3.8.2024).

[5] Der Begriff Baustelle kann an dieser Stelle als Planungsgröße ganz hilfreich sein. Deine Baustelle (z.B. eines Hauses) umfasst in der Regel viele einzelne Aufgaben und Gewerke. Trotzdem lässt sich der Aufwand ganz gut grob (Pi x Daumen) abschätzen und anderen Baustellen gegenüberstellen.

[6] Gass, Robert (2015) The art of delegating. Download unter https://atctools.org/wp-content/uploads/toolkit-files/the-art-of-delegating.pdf, S. 2, (zuletzt abgerufen am 3.8.2024).

[7] Stitt, Dave (2018) Deep and Deliberate Delegation. S. 36

[8] An dieser Stelle wirst du vielleicht die Frage stellen, warum dann bei dir nur die spannenden und bei anderen nur die langweiligen Aufgaben bleiben. Das ist deine Sicht. Tatsächlich ist die Welt viel diverser. Und ja, es gibt Menschen, die große Freude daran empfinden, das zu tun, was dir keinen Spass macht und die können, was dir selbst nicht so gut liegt. Dieser Umstand spricht im Übrigen sehr dafür, schon bei der Ausschreibung und Besetzung von Stellen auf eine große Diversität und Interdisziplinarität eines Teams zu achten.

[9] O’Neill, O. (2013) ‘What we don’t understand about trust’. TED. Available at: https://www.ted.com/talks/onora_o_neill_what_we_don_t_understand_about_trust (zuletzt abgerufen am 3. August 2024).

[10]  Gass, Robert (2015) The art of delegating. Download unter https://atctools.org/wp-content/uploads/toolkit-files/the-art-of-delegating.pdf (zuletzt abgerufen am 3. August 2024).

[11] Es ist kein Zeichen guter Führung, die eigene Überarbeitung auf andere überarbeitete Teammitglieder abzuwerfen. Das führt in der Regel zu schlechter Stimmung und die erfolgreiche Erledigung der Aufgaben wird damit nicht wahrscheinlicher. Wichtig ist – gemeinsam mit dem*der Mitarbeitenden – zu überlegen, welche zeitäquivalenten Aufgaben statt dieser Aufgabe entfallen oder verschoben werden können (siehe dazu auch die Ausführungen später).  

[12] Sprich ggf. bei nächster Gelegenheit mit den Mitarbeiter*innen, wie sie ihre Auslastung selbst einschätzen und welche Aufgaben sie zur Zeit beschäftigen.

[13] Doran, G. T. (1981). There’s a S.M.A.R.T. Way to Write Management’s Goals and Objectives. Management Review, 70.

[14] Es ist in der Regel für alle Beteiligten besser, Äffchen bewusst zu töten, als sie langsam verhungern zu lassen. Das klingt krass und es wird nur dadurch verdaulich, dass die Äffchen ja nur als Metapher für unsere Ideen und Konstrukte stehen. Gleichzeitig hängen wir oft an liebgewonnenen Vorstellungen, dass ein Loslassen manchmal einer Frage von Leben und Tod gleichkommt. Deshalb bleibe ich hier beim “Äffchen töten”.

[15] Außerdem besitzt die Wirklichkeit die anstrengende Angewohnheit, sich beständig zu verändern. D.h. deine Annahmen zum Projekt mögen beim Delegationsgespräch noch passend gewesen sein. Drei Monate später sind sie es vielleicht nicht mehr. Du tust gut daran mitzubekommen, wie dein Mitarbeiter im Projekt auf diese Veränderungen reagiert.

[16] Meilensteine wären SMART-formulierte Teilziele des übertragenen Projektes.