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Autor*in:

Dr. Günter Metzges-Diez

Version

Nr. 1.0

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Wandel braucht Führung

Wenn in einem Organisation oder einem anderen sozialen System niemand Verantwortung und damit Führung übernimmt, pendelt sich das Handeln der Beteiligten in der Regel auf den auf kleinsten, gemeinsamen Nenner als neue Wirklichkeit ein[1], an der die Beteiligten wiederum ihre individuellen Handlungen ausrichten.

Im Beispiel gesprochen: Nehmen wir eine Organisation, in der es große Unzufriedenheit mit den eigenen Leistungen gibt. Eine damit verbundene Realität von Schuldzuweisungen sowie hoher Fluktuation von Mitarbeiter*innen kann zu einer relativ stabilen Wirklichkeit werden, auf die sich jede*r Mitarbeiter*in mit seinen/ihren je eigenen individuellen Handlungsstrategien einstellt (geringe Offenheit, Arbeit nach Vorschrift, …).

Würde in diesem Beispiel niemand Verantwortung übernehmen, die Ursachen der Krise analysieren, besprechbar machen sowie Schritte der Veränderung einleiten, würden sich vermutlich sowohl Leistungen als auch Motivation in der Organisation auf einem niedrigen Niveau einpendeln. Führung bedeutet in diesem Sinne die Übernahme von Verantwortung für das jeweilige Soziale System und damit verbunden die bewusste Gestaltung von Wandel[2].

In diesem Text wird es darum gehen, wie wir Veränderungen in sozialen Systemen erreichen können. Nachhaltiger Wandel hängt dabei, so die in diesem Tool vertretene Annahme von der Berücksichtigung von vier sich gegenseitig bedingenden Dimensionen, bzw. vier Sphären ab:

  • Verhalten
  • Strukturen (vereinbarte Regeln, Prozesse, Abläufe, Kontext)
  • Überzeugungen
  • grundlegende Deutungsmuster

Warum scheitert bewusster Wandel so oft?

Wir kennen das aus der individuellen Erfahrung. Wir wollen Veränderung und formulieren gute Vorsätze. Alljährlich schießen im Januar die Anmeldungen bei Fitnesscentern und Sportvereinen in die Höhe[3]. Doch spätestens nach 3 Monaten folgen nur noch ca. 50% der Menschen ihren zu Silvester gefassten Vorsätzen[4].

Und auch groß angelegte Veränderungsprozesse in Organisationen scheitern in ihrer Mehrzahl[5]. Abteilungen werden zusammengefasst und wieder getrennt. Eine neu eingeführte Software wird einfach nicht verwendet und stattdessen lieber Parallelsysteme gepflegt. Vereinbarte Regeln werden schlicht ignoriert und bleiben nur Papier. Veränderungen gehen oft an den Betroffenen vorbei, werden ignoriert oder versanden.

Auf der gesellschaftlichen Ebene haben soziale Bewegungen viele wichtige Siege erringen können. Mit Blick auf die Gleichberechtigung von Frau und Mann, auf die Entwicklung des Sozialstaats, auf das Ende von Rassentrennung und Apartheid in den USA oder Südafrika oder beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Gleichzeitig sehen wir jeden Tag, wo gewünschte Veränderungen nicht erreicht werden, dass progressiver, politischer Wandel zumindest zur Zeit nicht mit der Verschärfung miteinander verbundener Problemlagen mithält.

Oftmals erscheinen Veränderungsprozesse individuell, in Organisationen oder auf gesellschaftlicher Ebene wie ein großes Gummiband. Mit viel Kraft und Aufwand stoßen wir Veränderungen an. Wir sehen zunächst auch Resonanz und Fortschritt. Nach einiger Zeit wirkt das Gummiband und ein großer Teil der Veränderung geht wieder verloren.

Was passiert da? Robert Gass identifiziert in seinem Modell “Wheels of Change”[6] drei miteinander verbundene Sphären, die sich gegenseitig bedingen. Eine Veränderung muss demnach zugleich bei “Hearts & Minds” (Herz & Verstand), “Structures” (Strukturen) und “Behaviour” (Verhalten/Handeln) ansetzen. Findet eine Veränderung nur in einer dieser Sphären statt, wirken die beiden anderen wie das oben beschriebene Gummiband. Ein neues, stabiles Gleichgewicht können wir nur dann erreichen, wenn wir zeitgleich neu denken und fühlen, Strukturen verändern und anders handeln.

Im Beispiel des Vorsatzes, nach Neujahr mehr Sport zu treiben, hilft die Absicht allein nicht weiter. 

Heart & Minds: Vom Verstand wie vom Herzen muss ich den Wandel wirklich wollen. Ich sollte von den Vorteilen des Wandels überzeugt und mir über die damit verbundenen TradeOffs bewusst sein. 

Structures: Dann sollte ich strukturell unterstützende Bedingungen schaffen, die die Veränderung einfach machen und gleichzeitig solche Bedingungen meiden, die das alte Verhalten fördern. Dies könnte zum Beispiel sein, fixe Zeiten im Kalender zu reservieren und so dem Einwand zuvorzukommen, ich habe einfach keine Zeit für den Wandel gefunden. Manche erfinden für sich rabiatere Strukturen. So z.B. eine Selbstverpflichtung an unliebsame NGOs oder Parteien zu spenden, wenn die gewünschte Verhaltensänderung nicht gelingt.

Behaviour: Und am Ende bleiben neue Deutungsmuster und die besten strukturellen Bedingungen wirkungslos, wenn ich nicht tatsächlich auch anders handle.

Je weniger die Veränderung zeitgleich auf den verschieden Ebenen greift, so die Annahme im “Wheel of Change”-Modell, um so weniger wahrscheinlich ist eine nachhaltige Veränderung: Wenn wir nicht wirklich überzeugt sind, ignorieren wir die bereit stehenden Sportschuhe einfach und laufen nicht, usw.

Übertragen auf Organisationsentwicklung könnte als Beispiel die Entwicklung eines Führungskodexes in einer Organisation dienen. Hier braucht es als klar fassbare Struktur eine Liste von Regeln, die definieren, was wer, von wem erwarten kann. Die Erstellung eines Regelkatalogs allein wird aber in der Organisation kaum etwas verändern. Er würde zur Kenntnis genommen und in die Schublade gelegt. Um als Organisationsentwicklung erfolgreich zu sein, braucht es Prozesse, die alle drei Sphären umfassen.

Hearts & Minds: Es braucht Räume, in denen Mitarbeiter*innen den Bedarf für Regeln selbst formulieren und verstehen. Es braucht also eine Veränderung des Fühlens und Denkens – einen inneren Prozess.

Structures: Es braucht nach dem Start der Umsetzung zumindest zu Beginn regelmäßige Termine, in denen die Einhaltung des neuen Führungskodexes reflektiert wird. Ggf. könnte auch eine Ombudsperson hilfreich sein, die proaktiv Interviews mit Mitarbeiter*innen macht und so die Umsetzung des Führungskodexes zumindest in der Anfangszeit aktiv begleitet, bis die eingeleiteten Veränderungen zu neuer Gewohnheit und damit zu einer neuen Organisationsrealität geworden sind.

Behaviour: Und dann braucht es natürlich das beobachtbare, veränderte Verhalten selbst. Dies gilt insbesondere für das Verhalten insbesondere von Menschen, die in der Organisation als Vorbilder gelten.

Auch auf der gesellschaftlichen Ebene lassen sich die Sphären beispielhaft illustrieren.

Behaviour: So könnte man in der Energiewende vermuten, dass die Produktion von Windkrafträdern oder Solarpanels (Verhalten), dann nachhaltig und stabil wurde,

Structures: … als es mit dem Erneuerbaren Energien Gesetz einen stützenden oder stabilisierenden Faktor gegeben hat (Strukturen). Das Erneuerbare Energien Gesetz hätte es wiederum ohne die entstehenden erneuerbaren Technologien nicht gegeben.

Hearts & Minds: Und beides (Verhalten und Struktur) wurde begünstigt oder ermöglicht durch Veränderungen im Fühlen und Denken der Unternehmer*innen, der Politiker*innen, der Mitwirkenden in der Anti-AKW-Bewegung sowie der Wähler*innen, die wiederum selbst durch neues Verhalten und Strukturen gestärkt wurden.

Der 4-Sphären-Strategieprozess

Wie helfen uns diese Erkenntnisse bei der Gestaltung von Veränderungsprozessen? In diesem Ansatz schlage ich vor, die 3 Sphären aus dem oben formulierten “Wheel of Change” Ansatz um die Sphäre “Grundlegende Deutungsmuster” zu erweitern. Diese grundlegenden 4 Sphären stelle ich in diesem Abschnitt vor. Im darauf folgenden Kapitel integriere ich diese dann in ein Strategieentwicklungstool, mit dem Veränderungsprozesse vorab durchdacht und entwickelt werden können[7].

Hier aber zunächst kurz eine Übersicht über die einzelnen Sphären:

Verhalten und Entscheidungen

Das Strategieentwicklungsmodell beginnt mit der Sphäre “Verhalten und Entscheidungen”. Hintergrund ist die Annahme, dass Wandel nicht geschieht, wenn sich nicht auch am Ende das Verhalten von Individuen und Gruppen verändert.

Das bedeutet allerdings nicht, dass das Verhalten von Menschen und Gruppen in diesem Ansatz als atomistisch oder autonom verstanden wird. Aufgrund der Interdependenz der Sphären hängt Verhalten untrennbar mit Strukturen oder Deutungsmustern und damit mit Machtverhältnissen zusammen[8]. So kann ich mich zwar mit meinen Entscheidungen und meinem Verhalten vorübergehend durchaus von gegebenen Strukturen z.B. Gesetzes- oder Marktmechanismen abkoppeln. Muss dann aber in der Regel die damit verbundenen Konsequenzen ertragen oder befürchten.

Als Handelnde oder Entscheidende können im Rahmen des Modells sowohl Individuen als auch kollektive Akteure und Gruppen im Aggregat betrachtet werden. Wir können also fragen, wodurch das Verhalten oder die Entscheidung eines Individuums, einer Gremiums oder auch einer Gruppe beeinflusst wird[9].

Strukturen

Als Strukturen werden in diesem Modell wiederkehrende, relativ stabile Kontextfaktoren verstanden, die kontinuierlich bewusst oder unbewusst auf unsere Präferenzbildung einwirken. Dazu gehören natürlich Gesetze oder im Kontext einer Organisation Organisationsregeln sowie andere explizite und für gemeinhin als gültig anerkannte Normen und Wirklichkeiten. Struktur sind somit auch Marktmechanismen und andere benennbare Machtverhältnisse. Im individuellen Bereich können als Strukturen verfügbares Kapital, Einkommen oder auch die soziale Eingebundenheit in Familien, Freundesnetzwerke, etc. verstanden werden.

Strukturen legen Verhalten und Entscheidungen in der Regel nicht fest. Sie können diese jedoch z.T. maßgeblich unterstützen oder behindern. Sie selbst sind in ihrem Bestand wiederum von Verhalten, Entscheiden und Deutungsmuster abhängig. So gibt es im organisationalen Kontext der meisten Organisationen viele Regeln, die zwar vereinbart und aufgeschrieben wurden, aber niemals eine Rolle im Handeln der Organisationsmitglieder spielen. Wirksame Strukturen sind in der Regel nur mit Aufwand veränderbar, da dazu oftmals kollektives Handeln erforderlich ist.

Deutungsmuster und Erzählungen

In der dritten Sphäre geht es um Deutungsmuster und Erzählungen. Sie beschreiben und begründen Sinnzusammenhänge über die Welt, die eigene Organisation, damit verbundene Strukturen und das eigene Verhalten. Wenn sie mit gegebenen Strukturen und Verhalten kongruent sind, stabilisieren sie den Status Quo. Andernfalls wirken sie als verändernde Kraft.

Deutungsmuster und Erzählungen sind allerdings selbst interdependent und wandeln sich bei sich verändernden Verhalten oder veränderten Strukturen oder unter dem Eindruck von externen Schocks. So ist anzunehmen, dass sich in Deutschland unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima, massiver gesellschaftlicher Proteste sowie der vorhandenen Handlungsalternative “Erneuerbare Energien” sich zunächst vorher relative stabile Deutungsmuster der politischen Entscheider*innen verändert haben. So konnte ein beschleunigter Atomausstieg beschlossen werden, obwohl die gleichen Entscheider*innen wenige Monate vorher für die Verlängerung von Restlaufzeiten gestimmt hatten.

Tiefe Glaubenssätze und grundlegende Bedürfnisse

Die vierte Sphäre beschreibt den Bereich tiefer Glaubenssätze, Identität, Zugehörigkeiten und grundlegender Bedürfnisse. Anders als Deutungsmuster oder Erzählungen sind diese nur sehr schwer argumentativ beeinflussbar. Sie beschreiben sozusagen den Grundblickwinkel mit dem wir auf die Welt schauen und in dessen Licht Argumente, Deutungsmuster, Erzählungen, Strukturen und Verhalten für uns Sinn machen. Eine Veränderung von Glaubenssätzen und Grundbedürfnissen ist anders als in den anderen Sphären kaum mehr durch Ausschluss oder Negation erreichbar (Fallenlassen eines Arguments, Abschaffung einer Struktur, Einstellung eines Verhaltens). Die Perspektive wird ganzheitlicher und verläßt den nicht-dualen Raum. An die Stelle von entweder-oder tritt ein sowohl-als-auch.

Die Glaubenssätze und Bedürfnisse einer Person oder eines sozialen Systems müssen keineswegs widerspruchsfrei und konsistent sein. D.h. es kommt darauf an, welcher Teil unseres Selbstverständnisses und unserer Bedürfnisse wir in einer bestimmten Situation besonders relevant für ein bestimmtes Verhalten, eine Struktur oder ein Deutungsmuster halten und wie groß die Angst ist, dass tiefe Glaubenssätze und Grundbedürfnisse durch Wandel in Frage gestellt werden.

Durch die Betonung unterschiedlicher Identität, religiöser und weltlicher Glaubenssätze kann Wandel in Richtung Abgrenzung, Trennung und Konkurrenz gestärkt werden, während die Orientierung auf universelle Grundbedürfnisse, verbindende spirituelle oder religiöse Vorstellungen sowie geteilte Identitäten progressiven, universellen Wandel fördert.

Prozessvorschlag

Die oben formulierten Annahmen und Sphären habe ich in ein Modell zusammengefasst, dass dich bei der Entwicklung von individuellen, organisationalen oder gesellschaftlichen Veränderungsstrategien unterstützen kann[10].

Schritt 1 – Problemfeld wählen: Wähle zunächst den Problemkomplex aus, für den du Veränderungsstrategien erarbeiten möchtest. Es kann sich hier um gesellschaftliche, organisatorische oder individuelle Probleme[11] handeln.

Schritt 2 – Sammlung möglicher Verhaltensänderungen: Erstelle eine Liste möglicher Verhaltensänderungen oder Entscheidungen, die zur Lösung des vorliegenden Problems beitragen könnten.

Es erscheint mir bei diesem Schritt hilfreich, im neuen Verhalten keine Negation des alten Verhaltens vorzunehmen (z.B. lieber “Menschen nutzen öffentliche Verkehrsmittel” statt “Menschen fahren nicht mit dem Auto in die Stadt”). Dadurch wird wahrscheinlich, dass wir die hinter jedem Verhalten stehenden Bedürfnisse (hier: Mobilität) besser erfassen. Bei Entscheidungen scheint mir dagegen unumgänglich ausbleibende Entscheidungen als Handeln durch Unterlassen zu kennzeichnen.

Und beschreibe wirklich Verhalten bzw. Entscheidungen und keine Einstellungen und Präferenzen (bsp. Bewohner*innen fahren ein Auto vs. Bewohner*innen möchten ein Auto fahren).

Es ist unproblematisch, wenn Verhaltensänderungen notiert werden, die möglicherweise als notwendige Voraussetzung für eine andere identifizierte Verhaltensänderung erkannt werden.

So könnte zum Beispiel beim Thema Verkehrsinfarkt unserer Städte folgende Beispiel-Liste entstehen.

bisheriges Verhaltenneues VerhaltenRelevanz (1-10)
Menschen fahren mit ihrem PKW in die StadtMenschen nutzen öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad um in die Stadt zu fahrenevtl. 7
Bewohner*innen der Stadt besitzen Autos.Bewohner*innen nutzen Car-Sharing oder Leihfahrzeuge, wenn sie ein Auto brauchen.evtl. 8
Politiker*innen der Partei X unterlassen eine Entscheidung über den Ausbau von RadschnellwegenPolitiker*innen der Partei X stimmen für den Ausbau von Radschnellwegen.

Schritt 3 – Priorisierung der Verhaltensänderungen:  Bewerte nun die Relevanz jeder Verhaltensänderung auf einer Skala von 1-10.

Wähle das alte Verhalten mit der höchsten Problemlösungsrelevanz aus. Diese Auswahl kann in einem schnellen ersten Analysedurchlauf durchaus auf gefühltem Wissen beruhen. In einem umfangreicheren Strategiebildungsprozess kann hier auch eine ausführlichere Recherche vorgeschaltet werden.

Trage das ermittelte alte Verhalten in den mittleren Kreis der folgenden Abbildung ein.

Graphik zum Mapping des alten Verhaltens

Schritt 4 – Sammlung stabilisierender Faktoren: Überprüfe, welche Strukturen, Regeln oder Gesetze dieses Verhalten stabilisieren! Trage die wichtigsten in den zweiten Ring ein. Wiederhole dies: welche Deutungsmuster und Erzählungen stabilisieren wiederum Strukturen und Verhalten? Trage die wichtigsten in den äußeren Ring ein. Hinter den Deutungsmustern und Erzählungen stehen oftmals Überzeugungen und Grundbedürfnisse. Welche könnten für die Stabilisierung bisher identifizierter Deutungsmuster, Strukturen und des alten Verhaltens wichtig sein? Trage auch diese außerhalb des Kreises ein.

Schritt 5 – Zwischenresumee: Trete einen Schritt zurück und schau dir die Ringe insgesamt an. Welche Rückkopplungen siehst du? Was könnte sonst wichtig sein? Mach’ dir ggf. Notizen.

Schritt 6 – Sammlung von verändernden Faktoren: Geh weiter zur nächsten Abbildung und trage hier das neue Verhalten in den mittleren Kreis. Wiederhole nun die Schritte 4 und 5 für das neue Verhalten. Welche Strukturen, Regeln und Gesetze würden das neue Verhalten stabilisieren? Welche neuen Deutungsmuster und Überzeugungen/Grundbedürfnisse könnten für das neue Verhalten stabilisierend wirken?

Graphik zum Mapping des neuen Verhaltens

Schritt 7 – Suche nach Mustern: Lege beide Abbildungen nebeneinander. Was fällt dir auf? Gibt es Muster oder Perspektiven, die herausstechen?

Schritt 8 – Fokussierung und Auswahl: Nehme nun einen Textmarker und markiere in beiden Abbildungen in jedem Ring ein bis zwei Einträge, die besonders bedeutend für das Erreichen eines nachhaltigen Wandels in Richtung des neuen Verhaltens sein könnten.

Schritt 9 – Sammlung von Interventionen: Überlege, durch welche Handlungen und Entscheidungen (Interventionen) markierte Einträge auf der Seite mit dem alten Verhalten destabilisiert und Einträge auf der Seite des neuen Verhaltens gestärkt werden könnten. Schreibe diese in eine Liste.

Schritt 10 – Bewertung von Interventionen: Wähle aus Deiner Liste die 5-10 erfolgversprechendsten Interventionen auf einer Skala von 1-10 und trage sie in folgendes Beispielraster ein:

Musterdiagramm was ist wirkungsvoll, was können wir gut

Schritt 11 – Auswahl von Interventionen: Wähle die Interventionen aus, die du genauer ins Auge fasst und überprüfe vor ihrer Umsetzung, welche weiteren gewünschten und unerwünschten Nebenwirkungen damit verbunden sein könnten. 

Umgang mit Komplexität

Das Modell hilft uns mit wenigen Schritten ein immenses Komplexitätsfeld zu durchschreiten ohne dass die Komplexität unseren Erkenntnisprozess verstellt.

Das ist nicht immer einfach.

So ergeben sich im Verlauf möglicherweise Einträge, die selbst wieder Handlungen betreffen. Dies könnte zum Beispiel die Erkenntnis sein, dass zur Stabilisierung eines neuen Verhaltens bestimmte Strukturen notwendig sind, zu deren Herstellung wiederum andere Verhaltensänderungen notwendig sind. Es ist in der Regel hilfreich, dies wahrzunehmen, aber den laufenden Prozess zunächst abzuschließen. Danach kann es dann sinnvoll sein, den Prozess erneut mit Blick auf die neu identifizierten Verhaltensänderungen zu durchlaufen.

Ein anderes Problem kann der Umgang mit Unsicherheiten sein. Wie gehen wir damit um, wenn bestimmte Zusammenhänge unklar sind und möglicherweise weiterer, genauerer Recherche bedürfen? Auch hier empfehle ich, den laufenden Analyseprozess zunächst abzuschließen und die Unsicherheiten nach bisherigen Vermutungen zu beantworten. Es ist dann sinnvoll, diese zu markieren oder eine Liste mit offenen Fragen parallel zu führen. Diese können nach Abschluss eines ersten Durchlaufes geklärt werden, um dann in einem weiteren Durchgang berücksichtigt zu werden.

Bei diesem Vorgehen geht es nicht darum, eine von außen gegebene Wahrheit zu erfassen. Vielmehr hilft das Durchlaufen des Verfahrens ein Feld mit seinen Interdependenzen zu verstehen, Hypothesen zu entwickeln und ein eigenes Bild daraus zu konstruieren, das mit jedem Durchlauf des Verfahrens dichter und in sich kohärenter wird. Die Hypothesen können und sollten im Verlauf der Strategieentwicklung selbst immer wieder kritisch überprüft werden.

[1] siehe auch Nash-Gleichgewicht in der Spieltheorie

[2] Selbstverständlich gibt es auch Situationen, die selbst durch massive Veränderungen und nicht durch ein stabiles Gleichgewicht gekennzeichnet sind. Dies trifft vermutlich auch auf die meisten der großen gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit zu (Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung, …). Doch auch die Bewahrung von durch Veränderung betroffenen (oder bedrohten) Systemen ist selbst wieder nur durch Veränderungen möglich, die kollektiv vorgenommen werden und die eine wahrgenommene Stabilität der Verhältnisse durchbrechen.

[3] https://www.welt.de/wirtschaft/article13803086/Das-dicke-Geschaeft-mit-guten-Vorsaetzen.html

[4] jährliche Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK (https://www.dak.de/dak/bundesthemen/gute-vorsaetze-2019-2112658.html

[5] David Miller (2001) Successful change leaders: What makes them? What do they do that is different?, Journal of Change Management, 2:4, 359-368. Siehe auch Keller, Scott, Aiken, Carolyn (2009) The Inconvenient Truth About Change Management. McKinsey&Company.

[6] Gass, Robert (2014) What is Transformation? And how it advances social change?. http://stproject.org/wp-content/uploads/2012/03/What_is_Transformation.pdf.

[7] Die Sphäre der “Hearts and Minds” teile ich noch einmal in die Sphäre der “Erzählungen und argumentative Deutungsmuster” und eine Sphäre von grundlegenden Glaubenssätzen und Grundbedürfnissen. Die Sphäre des Verhaltens erweitere ich, indem ich auch Entscheidungen als Verhalten begreife. Aus dem Modell von Robert Gass übernehme ich, dass eine Veränderung um so nachhaltiger ist, je stärker sie in den verschiedenen Sphären reflektiert wird. Alle Sphären bedingen sich hochgradig gegenseitig. Darüber hinaus kombiniere ich den Ansatz von Robert Gass mit einem Ansatz, den ich bei Monica Sharma gefunden habe. Nach diesem können wir die Sphären sowohl auf den Status Quo, als auch hypothetisch auf eine vorstellbare Zukunft anwenden. Sharma, Monica (2017) Radical Transformational Leadership. Strategic Action for Change Agents. https://www.penguinrandomhouse.com/books/555834/radical-transformational-leadership-by-monica-sharma/.

[8] Verhalten und Entscheidungen werden davon weder vollständig determiniert noch sind sie unabhängig. Ich folge hier einer sehr gut von Björn Kraus zusammengefassten und weitergeführten konstruktivistischen Perspektive auf den Machtbegriff. Björn Kraus (2016) Macht – Hilfe – Kontrolle. Grundlegungen und Erweiterungen eines systemisch-konstruktivistischen Machtmodells. In: Björn Kraus, Wolfgang Krieger (Hrsg.): Macht in der Sozialen Arbeit – Interaktionsverhältnisse zwischen Kontrolle, Partizipation und Freisetzung. Jacobs, Lage 2016, S. 101–130, https://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=15621

[9] Die mit dieser Perspektive verbundene Unschärfe, dass Aussagen über eine Gruppe in der Regel nicht auch für jedes Gruppenmitglied gelten, werden hier aus Gründen der Praktikabilität außer Acht gelassen.

[10] Aufgrund seines systemischen Charakters und der damit zu bearbeitenden Komplexität entzieht es sich klassischer Falsifizierbarkeit.Insofern bleibt nur die Möglichkeit es auszuprobieren und zu prüfen, ob es für die eigene praktische Arbeit nützlich ist.

[11] Ich habe das Modell bisher systematisch auf organisatorische oder gesellschaftliche Fragen angewendet. Ich vermute, dass auch individuelle Probleme passen, dies bleibt allerdings auszuprobieren :-).